Indien l April 2023
Die Problematik der Frühheirat hat sich seit der Covid-19 Pandemie nochmals verschärft
und weitere Verbreitung gefunden. Oft aus finanzieller Not, aber auch aus Unwissenheit
und Mangel an Bildung, werden Mädchen mit Männern verheiratet, die in Wirklichkeit oft Menschenhändler sind.
Mit Verspechen geködert

Im Staat Bihar wurde die Heirat von Sumitra*, 12 Jahre alt, von ihren Eltern für den Dezember 2022 geplant. Aus finanzieller Not suchten diese auf einer Social-Media-Plattform nach einem geeigneten Mann und fanden schliesslich einen 24-jährigen Bräutigam. Er schien besonders interessant zu sein, weil er keine Mitgift von den Eltern verlangte – was in Indien üblich und zugleich für viele eine unglaubliche Last ist – und der Familie versprach, sie finanziell zu unterstützen. Da für Mädchen das Mindestalter für Eheschliessungen in Indien bei 18 Jahren liegt, organisierten die Eltern die Hochzeit im Geheimen.
Trotz Flehen gab es kein Zurück Sumitra war über die Vorstellung erschüttert, dass ihre Eltern sie mit einem Mann verheiraten würden, der doppelt so alt ist wie sie. Sie war noch ein Kind, wollte Spaß mit ihren Freund-innen haben, zur Schule gehen und später Lehrerin werden. Sie hatte Panik vor «ihrem zu-künftigen Mann», da er sie bereits vor der Hochzeit mit Gewalt sexuell missbraucht hatte. Sumitra hatte ihrer Mutter über diese Tortur erzählt, doch diese bat sie, einfach ruhig zu blei-ben – es sei in Ordnung, da sie eh bald seine Frau sein werde. Voller Verzweiflung flehte sie ihre Eltern an, die Heirat rückgängig zu machen. Doch als Antwort wurde sie von ihnen hef-tig geschlagen. Sie fühlte sich völlig allein gelassen, seelisch und körperlich am Boden zerstört.
Für weniger als 100 US-Dollar Besonders im östlichen Bundesstaat Bihar ist die Kinderehe weit verbreitet, vor allem in den ländlichen Gebieten. Die extreme Armut, die kulturellen Normen, fehlende polizeiliche Maß-nahmen zur Ergreifung von Menschenhändlern und fehlende Aufklärung bieten den Men-schenhändlern einen optimalen Nährboden, für ihre unmenschlichen Machenschaften. Eltern verkaufen ihre Töchter an Bräutigame (Menschenhändler) meistens für nicht mehr als USD 60. Kinderbräute werden in den offiziellen Statistiken des Menschenhandels nicht erfasst, da niemand dagegen einschreitet. Durch das Engagement der SOLVA-Partnerorganisation in Indien wird landesweit bei der Erfassung der Fälle geholfen.
Dank freiwilliger Helfer bewahrt Sumitra erlebte ein Wunder. Die Partnerorganisation leitet u.a. eine Gruppe von freiwilligen Helfern. Diese stehen oft an strategisch wichtigen Punkten, besonders an Bahnhöfen und Busbahnhöfen. Dort, wo Betroffene oft für immer verschwinden. Die Helfer sind auch im Alltag wachsam, hören sich bei Kinderhorten und Schulen um, ob ein Kind vermisst wird. Und so kam es, dass Ashish, einer der Freiwilligen, von Sumitra’s Notlage erfuhr. In Abspra-che mit dem Team entschieden sie, alles daran zu setzen, diese Kinderehe zu verhindern.
Helfer erleben oft Feindseligkeiten Die größte Hürde bei der Rettung waren die Eltern von Sumitra. Sie sahen hauptsächlich den finanziellen Profit und waren sich nicht bewusst, was hinter dieser Heirat sich verbarg. Meis-tens sind sich die Eltern nicht bewusst, dass die Männer, die junge Mädchen heiraten, Men-schenhändler sind und ihre Töchter in den meisten Fällen an Bordelle oder an andere Men-schenhändler weiterverkaufen. Ashish berichtet: «Das Dorf befindet sich in einer rückstän-digen und gefährlichen Gegend. Die Familie und viele Dorfbewohner standen uns feindselig gegenüber, weil sie uns als Eindringlinge und Betrüger sahen. Es gab bedrohliche Situatio-nen, die böse hätten enden können.» Trotz der Uneinsichtigkeit der Eltern und der Feind-seligkeit der Dorfbewohner setzte das Team seine Arbeit fort. «Wir fanden heraus, dass der Menschenhändler schon länger auf den sozialen Medien tätig war und unter verschiedenen Namen bereits viele Mädchen geheiratet und weiterverkauft hatte.» Das Team vor Ort infor-mierte den Dorfvorsteher und die Polizei, die den Mann sogleich festnahmen.
Täter kommt hinter Gitter Dank der Bemühungen des SOLVA-Partners gelang es, den Menschenhändler zu verhaften, dabei nicht nur Sumitra, sondern unzählige weitere Mädchen vor lebenslanger Ausbeutung zu retten. Die Eltern haben mittlerweile verstanden, wie wichtig es ist, gut auf ihre Tochter achtzugeben. Sie geht wieder zur Schule und wird vom Team vor Ort weiterhin betreut und in ihre neu gewonnene Freiheit begleitet.
Die Wichtigkeit der Präventionsarbeit
Um Gefährdete von Menschenhandel und Missbrauch zu schützen, ist die Präventionsarbeit eminent wichtig. SOLVA unterstützt folgende Präventionstätigkeiten, die bereits Tausende davor bewahrt haben, in die Fänge von Ausbeutern zu gelangen und oftmals für immer zu verschwinden:
Gruppe von Freiwilligen, die an strategisch relevanten Orten Wache stehen (CHF 25)
Unterstützung beim Aufbau von Kooperativen – zur finanziellen Stärkung von Familien (CHF 80)
Sensibilisierungsvorträge an Schulen und unter der Dorfgemeinschaft (CHF 60 pro Vortrag)
Kinderhort: Ort des Schutzes, Möglichkeit der Aufklärung und schulische Unterstützung (CHF 225)
Kleingewerbe zur finanziellen Stärkung der Familien in abgelegenen Gebieten – zur Vermeidung
des Verkaufs der eigenen Kinder (CHF 550)
*Aus Sicherheitsgründen werden Namen geändert, Partnerorganisation und Ortschaft nicht erwähnt
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