Indien l Juli 2023
Im Oktober 2022 haben Projektpartnerin Anisha* und Geschäftsleiterin Inés die beiden Schwestern Anita*, 13 und Rita*, 14, zusammen mit ihren Eltern getroffen. Die Familie gehört zu einem der ärmsten Stämmen Indiens an, den Mushars. In Indien werden sie auch „die Rattenfresser“ genannt.
Wenn sich die Gelegenheit überhaupt anbietet, nehmen die Eltern jeden Job an, sei er auch noch so hart und belastend, um ihren Töchtern eine tägliche Mahlzeit zu ermöglichen. Ihre Lebensumstände sind erbärmlich.
Armut als Nährboden für Menschenhändler Im Wissen um die vulnerable Situation der Familie, spricht im Mai 2022 ein junger Mann, ein Menschenhändler, die beiden Schwestern auf der Strasse an. Schritt für Schritt gewinnt er ihr Vertrauen. Er ist sehr nett und charmant zu ihnen, schenkt ihnen ein einfaches Mobiltelefon und ist somit im ständigen Kontakt mit ihnen. Die beiden Mädchen sind völlig angetan von seiner Person und begeistert über die neu gewonnene Freundschaft. Im Juli erzählt er ihnen, dass er ihnen in einer grösseren Stadt einen Job organisieren könne. Da die Schwestern um das Leid und die täglichen Strapazen ihrer Eltern aufgrund der finanziellen Not wissen, sind sie für diese Angebot empfänglich. Ohne etwas Böses zu ahnen und ohne die Eltern zu informieren (ihr „Freund“ konnte sie davon überzeugt, es geheim zuhalten), gehen sie mit dem Menschenhändler mit.
Völlig hilflos Doch was sie dann erwartet, ist ein einziger Alptraum. Im Staat Bihar werden sie gefangen gehalten, regelmässig mit Medikamenten sediert und zur Prostitution gezwungen. Während zwei Monaten müssen sie täglich unzählige Männer sexuell bedienen und sind den Miss-handlungen völlig hilflos ausgeliefert.
Dank Sensibilisierungsvortrag gefunden
Nachdem die Töchter plötzlich nicht mehr nach Hause kommen, machen sich die Eltern grosse Sorgen. Sie durchstöbern ihre Sachen und finden das Mobiltelefon der Töchter, das sie versehent-lich liegen gelassen hatten. Als die Eltern die Anrufe checken, entdecken sie eine ihnen unbe-kannte Nummer. Sofort wenden sie sich der Partnerorganisation von SOLVA in Indien. Die Eltern hatten vorgängig an einem von ihnen durch-geführten Sensibilisierungsvortrag teil-genommen und dabei ihre Notfall Nummer erhalten. Gemeinsam mit der Polizei nimmt das Team sofort die Suche nach den Mädchen auf. Dank einigen Hinweisen von einem im Milieu arbeitenden Netzwerks, werden die Mädchen an einem Bahnhof des Staates Bihar gefunden. Eines der Team-Mitglieder berichtet: „Als ich sie dort stehen sah, brach es mir das Herz. Sie waren völlig sediert, sie befanden sich in einem er-bärmlichen Zustand.“ Das Team vor Ort nahm sich den Mädchen an, die Polizei verhaftete den jungen Mann, der sich gerade in der Nähe befand. Als die Mädchen ihren Eltern übergeben wurden, bedankte sich der Vater zutiefst berührt: „Wir können es kaum fassen, unsere Töchter sind wieder bei uns. Dem Team, der Polizei und allen, die diese Aktion finanziell ermöglicht haben, danken wir unendlich von Herzen.“
Betreuung der befreiten Mädchen Seit der Befreiung unterstützt das Team vor Ort die Mädchen und ihre Eltern mit psychologi-scher Hilfe. Es geht ihnen langsam besser. Anita besucht mittlerweile wieder die Schule, Rita ist jedoch noch zu traumatisiert. Das Team begleitet weiterhin die Familie auf ihrem Weg der psychischen und physischen Besserung.
*Aus Sicherheitsgründen werden Namen geändert, Partnerorganisation und Ortschaft nicht erwähnt
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